Oberösterr. Nachrichten vom 14. 05. 1993 - Seite 016  

Titel: "Zweite Chance" hilft psychisch Kranken weiter

Text: LINZ (OÖN-hl). "Wir sind zwar psychisch angeschlagen, deswegen haben wir aber doch ein Recht auf eine zweite Chance", sagte die 29jährige Innviertlerin Anita S. bei der Zehnjahrfeier des Arbeitstrainingszentrums Oberösterreich (ATZ) in Linz.

Arbeit anzubieten, ist ein Hauptthema der psychosozialen Rehabilitation, erklärte Primarius Werner Schöny, der Obmann von Pro mente infirmis. Wer es schafft, in die Arbeitswelt wieder integriert zu sein, bekommt auch seine Lebenssituation leichter in den Griff.

In Oberösterreich, wo in den vergangenen zehn Jahren 14 Arbeitstrainingszentren in Linz, Rohrbach, Steyr und Vöcklabruck mit insgesamt 80 Arbeitsplätzen geschaffen wurden, sind inzwischen 500 Menschen in ihren Fähigkeiten gefördert worden. Maximal 17 Monate konnten sie im Holzbereich, biologischen Landbau, einer Textilwerkstatt, Druckwerkstatt, drei Betriebsküchen, einem Verkaufslokal, Buchladen, Büroservice oder im Ersttagsverlag in Rohrbach behutsam wieder ins Erwerbsleben einsteigen, Belastbarkeit trainieren.

Jeder dritte fand sofort nach dem Training einen Arbeits- oder Ausbildungsplatz, mehr als die Hälfte hinterher zumindest vorübergehend Arbeit. 60 Prozent der Teilnehmer waren zwischen 21 und 30 Jahren alt, ein Viertel zwischen 31 und 40 Jahren, ein Zehntel jünger als 20 Jahre. Der Anteil der Männer machte 60 Prozent aus.

Zur genauen Analyse der Wirkung der ATZ-Maßnahmen ist derzeit eine umfangreiche Studie in Arbeit, die Aufschluß über die inhaltlichen Fragen der Re-Integration in das Arbeitsleben, aber auch in ein stabiles Sozialleben insgesamt geben wird. 

In Oberösterreich, so sagt Hofrat Obrovsky vom Landesarbeitsamt, sind 1,2 Prozent der Arbeitslosen psychisch behindert. Österreichweit hat ihre Zahl überraschenderweise abgenommen. Von 164.000 Arbeitslosen im Jahr 1987 waren 20.000 behindert (5510 psychisch). Während die Zahl der Arbeitslosen bis 1992 auf 193.000 und die der behinderten Arbeitslosen auf 23.000 stieg, sank die der psychisch behinderten auf 3813. Das mag wohl zu einem Teil auf die Maßnahmen im ATZ zurückzuführen sein.

 


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