Oberösterreichische Nachrichten vom 04. 09. 1993
(Seite 11 - Wochenend-Beilage;
Serientitel: "Erforscht & entdeckt/ Uni Linz aktuell")


 

Titel: Mit Schmiergeld ging alles schneller

Untertitel: Reisen war in alter Zeit ein Privileg des Adels und der reichen Bürger

 

In Kleinmünchen bimmelten die Glocken, und das Volk stand gehorsamst Spalier. Marie Antoinette, die Habsburgerbraut des französischen Königs Ludwig XVI., reiste 1776 von Wien über Linz nach Paris. Um für die Hochwohlgeborene den Weg zwischen den beiden Poststationen Enns und Lambach zu verkürzen, hatte man extra eine neue Straße errichtet, die heutige Dauphinestraße. In Lambach gab es zu Ehren Marie Antoinettes ein großes Fest mit Fackelzug auf dem Fluß.

Reisen im 18. Jahrhundert

Reisen war im 18. Jahrhundert auch für eine Kaisertochter ein anstrengendes Plaisir. Je kürzer, desto besser, lautete deshalb die Devise. Schon damals gab es ein europa-umspannendes Netz von Postkutschenrouten. Nach genauen Fahrplänen konnte man von Stockholm bis nach Konstantinopel reisen.

Adelige Damen wie Marie Antoinette waren selbstverständlich "außertourlich" unterwegs, begleitet von einem ganzen Troß von Bediensteten, die für Verpflegung und Unterkunft zu sorgen hatten. Die Kutschenwege waren seit dem Aufkommen der sogenannten "Kavaliersreisen" junger Adeliger seit dem 17. Jahrhundert ständig verbessert worden. Zahlreiche Poststellen (von "Posten", das heißt Orte, an denen die Pferde gewechselt wurden) sorgten für erholsame Rast. Dort wurden auch die ächzenden Kutschenachsen frisch mit Schmieröl versorgt. Für das Öl mußte man an Ort und Stelle zahlen - der Ausdruck "Schmiergeld" erinnert noch heute daran.

Hoch zu Roß nach Jerusalem

Mit der Sozialgeschichte des Reisens befaßte sich eine Arbeitsgemeinschaft unter Leitung von Univ.-Dozent Dr. Ingo Mörth am Institut für Soziologie der Universität Linz. Das Institut stellt sich den Arbeitsschwerpunkt "Alltagsforschung", und Reisen hat laut Dozent Mörth sehr viel mit Alltag zu tun - als Gegensatz. Die Definition des Begriffs "Reisen" enthält folgende Aspekte:

* Ortsveränderung (das Ziel liegt außerhalb des normalen Aktionsradius),

* zeitliche Dauer (mindestens ein Tag),

* befristete, individuelle Entscheidung,

* inhaltliches Heraustreten aus dem Alltagsleben.

Reisen ist demnach immer ein "Schritt in die Fremde". Seinen Ursprung hat das Reisen in Europa in den mittelalterlichen Kreuzzügen. Nachdem man sich mit den Sarazenen arrangiert hatte, brachen dann reiche Bürger und Adelige seit dem 13./14. Jahrhundert gern zu Pilgerfahrten nach Jerusalem auf. Die 1486 in Mainz gedruckte "Reise nach Jerusalem" des Bernhard von Breydenbach popularisierte diese Form des Reisens, für die neben dem begehrten Ablaß auch moderne Motive wie das Interesse an der fremden Kultur, Sprache und Vegetation eine Rolle spielten.

Betuchte Mainzer Kaufleute, Geistliche und Adelige nahmen an dieser Pilgerreise teil. Neun Monate waren sie unterwegs. Die Route führte auf dem damaligen Landwegenetz zu Pferd nach Venedig. Dort gab es Kapitäne, die auf den Transport von Pilgern spezialisiert waren. Überfahrt und Begleitschutz waren zu bezahlen. Über Stützpunkte entlang der dalmatinischen Küste (meist alte Kreuzritterburgen) segelte man via Kreta und Rhodos nach Haifa. Von dort ging es wieder hoch zu Roß nach Jerusalem, wo man sich in christlichen Pilgerhospizen einquartierte.

Gefahr für Leib und Leben brauchte man damals nicht mehr auf sich zu nehmen, denn für religiöse Reisende herrschte Waffenstillstand. Und Pilger waren gut zu erkennen: in eine Kutte gehüllt, ausgestattet mit Pilgerhut, Jakobsmuschel, Pilgerflasche und Pilgerstab. Bald bildete sich ein Netzwerk von Pilgerhospizen in Europa heraus, dessen Ziele die großen europäischen Wallfahrtszentren wurden. So entstand eine Infrastruktur für Reisende, auf der sich später aufbauen ließ.

Eine andere Wurzel des Reisens stellen die Gelehrten- und Forschungsreisen dar. Mit den Entdeckungen exotischer Gebiete war das naturkundliche Interesse enorm gewachsen. Einer der erfolgreichsten Kolporteure in eigener Sache war dabei der Augsburger Gelehrte Leonhard Rauwolff, dessen gedruckter Bericht über eine mehrjährige Reise in den Nahen Osten Rekordauflagen erzielte. Rauwolff betrieb sprachwissenschaftliche Studien, katalogisierte die Tier- und Pflanzenwelt Palästinas und würzte seinen Bericht mit zahlreichen Anekdoten. 1588 kam er als Landschaftsphysikus nach Linz, wo er acht Jahre blieb.

Erste Gruppenreise ins Heilige Land

Für den Großteil der Bevölkerung, so Dr. Mörth, gab es in alter Zeit kaum ein Motiv, den regionalen Bereich zu verlassen. Man war in lokale Wirtschaftszusammenhänge eingespannt. Als Untertan brauchte man obendrein die schriftliche Reiseerlaubnis seines Herrn.

Heute ist es gerade die einstige "Unterschicht", die das Reisen entdeckt und zur Massenbewegung gemacht hat. Der Impuls für den modernen Massentourismus kam laut Dr. Mörth von den alten Pilgerreisen. Im Jahr 1856 organisierte ein Berliner Unternehmer die erste Gruppenreise ins Heilige Land - inklusive Besuch der ägyptischen Pyramiden.

Der erste oberösterreichische Pilgerzug machte sich im Jahr 1900 von Linz-Hauptbahnhof auf die Reise ins Heilige Land. Der zweite folgte vier Jahre später - erstmals waren unter den 519 Teilnehmern auch Frauen ("wegen ihrer wirtschaftlichen Bedeutung im Haushalt", wie der Veranstalter begründete). Das Programm enthielt Besichtigungen, Ausflüge, Wandern in der Altstadt von Jerusalem und sogar einen Ausflug ans Tote Meer. Die Reise kostete 270 Kronen, das entsprach 3 bis 4 Monatsgehältern.

Von der adeligen Sommerfrische zum Massentourismus

Der moderne Erholungsurlaub, zentrales Reisemotiv der Arbeits- und Freizeitgesellschaft, hat seinen Ursprung in der "Sommerfrische" der Adeligen, die seit dem 18. Jahrhundert in Kurorte oder ins Gebirge reisten. In der Monarchie waren das Salzkammergut, der Semmering und Karlsbad besonders beliebt. Die ersten Badetouristen Österreich-Ungarns zog es im 19. Jahrhundert an die Strände von Grado und Rijeka.

Urlaub am Meer bedeutete anfangs aber noch keinen Wasserkontakt - man beschränkte sich aufs Frischlufttanken. Erst seit 1900 ging man auch richtig schwimmen. "Dinge, die in früheren Jahrhunderten von einzelnen probiert wurden, werden heute für die Masse organisiert." (Ingo Mörth)

(von Alfons Krieglsteiner & [nach Interview mit & unter Verwendung von Texten von] Ingo Mörth)


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