Wer kontrolliert das Internet?

VON KLAUS BUTTINGER

"Wer regiert das Internet?" Antwort auf die diffizile Frage versucht Univ.-Prof. Wolfgang Coy von der Berliner Humboldt Universität zu geben: "Wir haben es mit einem ohnehin schon schwer kontrollierbaren Medium zu tun, mit einem globalen noch dazu."

Erstens sei die Frage nach der technischen Kontrolle zu stellen, so Coy. Organisationen wie die Internet Society, die IETF (Internet Engineering Task Force) oder die ICANN (Internet Corporation for Assigned Names and Numbers) versuchten eine technische Standardisierung des Internets. "Die Personen in den Organisationen sind aber nur zum Teil demokratisch legitimiert."

Zweitens die Frage nach der Zugangskontrolle. "Ein Drittel der Menschheit hat noch nie ein Telefonat geführt. Afrika ist erst sei kurzem auf dem Niveau von ISDN-Anschlüssen", sagt Coy. Das Internet werde überwiegend von jungen Menschen genutzt. Nur 10 Prozent der über 60-Jährigen seien online, aber 60 Prozent der 14- bis 19-Jährigen. "In Deutschland bleiben auch künftig 20 Prozent der Bevölkerung nicht angeschlossen, weil sie nichts mit dem Internet anfangen können. Es gibt eine lokale, soziale und altersmäßige Ausgrenzung", sagt Coy. Schriebe man das Bürgerrecht auf Information fort, müsse der Staat eine aktivere Rolle einnehmen, um allen Menschen einen bezahlbaren, öffentlichen Net-Zugang zu ermöglichen.

Drittens, die ökonomische Kontrolle: "Die Telecoms beherrschen die Kabel, über die Internet-Daten laufen. Die Wachstumsraten sind von ihnen nicht mitgedacht worden", so Coy. Das Netz habe Schwachpunkte und Engpässe, die eine Optimierung zumindest verlangsamen. Wo Kontinente über Glasfaserkabel verbunden seien, z. B. zwischen Europa und den USA, gebe es Flaschenhälse, die den Datenverkehr auf rund 130 Gigabit pro Sekunde begrenzen. "Das ist nicht viel, wenn man bedenkt, dass ein modernes Netzwerk ein Gigabit pro Sekunde bewältigen", sagt Coy.

Viertens, die rechtliche Kontrolle: "Die Verhandlungen der Welthandelsorganisation in den vergangenen paar Jahren betrafen zu 80 Prozent Fragen des Urheberrechts", so Coy: "Salopp gesagt, stülpen die USA ihr Hollywoodrecht über die ganze Welt. ¸Mickey-Mouse-Gesetze` für Europa, obwohl Europa meiner Meinung nach die besseren Gesetze in diesem Bereich hat."

Last but not least, die politische Kontrolle: "Es gibt fast überall Eingriffsversuche der Staaten, um die Inhalte des Webs zu kontrollieren. Der Provider Compuserve wurde in München verklagt, weil er rechtsradikale Inhalte im Netz beließ. Das steht der Freedom of speech (Freiheit der Rede) im 1. Zusatz der US-Verfassung entgegen. Man wird sich fragen müssen, was die Nationalstaaten hinsichtlich offener Netze noch bedeuten", sagt Coy und fordert: "Wir brauchen Regelungen auf internationaler und nationalstaatlicher Ebene. Die Richter aber gehen derzeit nur gegen einzelne Personen vor."

Situation ist instabil, riskant

Was die Techniken zur Überwachung des Datenverkehrs betrifft, zeigen die USA vor, was möglich ist. "¸Echolon` ist ein weltweites Netz der USA. Es versucht sämtliche elektronische Kommunikation abzuhören und dient vor allem zur Wirtschaftsspionage. ¸Carnivor` hingegen ist eine Software der US-Inlandsgeheimdienste, die bei den US-Providern den E-Mail-Verkehr nach Reizmerkmalen abfragt. Was aber technisch fast nicht bewältigbar ist", berichtet Coy.

Wer hat nun das Sagen im www? Microsoft, die Internet Society, der US-Präsident, einige Global Player der Medienbranche? Coy: "Viele zerren an dem Geflecht. Und selbst Microsoft kann nicht alles durchsetzen. Das macht die Situation instabil und riskant - aber auch offen. Es ist so wie in einer Beziehung."

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